Gibt es sie
wirklich? Nicht die Vampire der Mythologie,
sondern lebende Wesen, die Vampire sind oder sich dafür halten? Das zweite
ganz sicher – auf das erstere wird weiter unten eingegangen.
Es gibt Menschen, für die sexuelle Erregung mit Blut verknüpft ist. Bei der »Hämatophilie« beschränkt
sich der Blutfetischismus auf Träume, sexuelle Vorstellungen und harmlose
Anwendungen. Bei vielen Menschen ist das Blutzapfen oder -trinken inzwischen
zum Gag geworden, gehört zum erotischen Spiel. Angeblich sollen in den
USA ca. 500.000 Menschen regelmäßig zu zweit oder in Gruppen dem
Blutzapfen und -trinken frönen – solange dies von beiden Seiten freiwillig
geschieht, ist dies sicher ein harmloser Zeitvertreib.
Eine weitaus schlimmere Form jedoch, über die der Begriff des Vampirs
ganz »seriös« Fuß gefasst hat in der Psychologie und
Kriminalistik, sind Menschen, die an »Hämatodipsie« leiden;
sie werden in der Sexualpathologie als »lebende Vampire« bezeichnet.
Sexuelle Erregung stellt sich bei ihnen nur noch beim Sehen, Hören oder
Schmecken von Blut ein. Ein literarisches Beispiel ist Marquis Gernande in dem
Roman »Justine« des Marquis de Sade. Und laut dem Duden-Fremdwörterlexikon
ist »Vampirismus« eine »durch Verschlingungstrieb und Verschmelzungsdrang
bedingte Form des Sadismus«.
Oft ersetzt bei diesen Menschen der Blutgenuss den
Geschlechtsverkehr. So hat der Frauenmörder Verzeni nie die Genitalien
seiner Opfer berührt, ihnen »nur« den Hals aufgeschlitzt und
das Blut gesaugt. Oft aber kommt es zusätzlich zu Vergewaltigungen. Der
1824 guillotinierte Frauenmörder Léger vergewaltigte und tötete
junge Mädchen, schnitt ihnen die Brüste ab, riss das Herz heraus,
verzehrte es und trank das Blut. Bis in unsere Zeit gibt es immer wieder Mörder,
die als Vampire bezeichnet werden; als die beiden schrecklichsten in diesem
Jahrhundert gelten der 1931 hingerichtete »Vampir von Düsseldorf«
Peter Kürten, der das »Bluten hören« konnte, und der 1949
gehängte »Vampir von London« John Haigh, der sich selbst als
»zur Familie der Vampire« gehörig betrachtete. Auch der durch
Romuald Kamalkars hervorragenden Film »Der Totmacher« bekanntgewordene
Massenmörder Haarmann, den Götz George so meisterlich verkörpert,
gehört zur Gruppe der »lebenden Vampire«, wobei bei ihm die
Tendenzen zur Nekrophilie stärker sind als die Beziehung zum Blut.
Sowohl der Zahn, mit dem der Vampir zubeißt, als auch das Messer, mit
dem er die Kehle aufschlitzt, gelten in der Psychologie übrigens als phallisches
Symbol, als Penisersatz. Daher rührt es vielleicht, dass »lebende
Vampire« in diesem psychopathologischen Sinne fast immer Männer sind.
Doch dies alles sind Menschen, die Vampire spielen oder
sich für solche halten. Gibt es aber »echte« Vampire? Von ihrer
Existenz ist zumindest Dr. Stephen Kaplan überzeugt, Leiter des »Vampire
Research Center«, einer »Forschungseinrichtung« in New York.
Er definiert sie als eigene Art der Gattung Mensch, als Wesen, die, anders als
gewöhnliche Menschen, in der Lage seien, die Inhaltsstoffe des Blutes vollständig
zu verarbeiten (wieviel ein Vampir dann wohl braucht, kann man bei den Blutsaugern nachlesen), die auf dieses Blut angewiesen seien und denen bei dauerhaftem Blutentzug
der Tod drohe. Diese Vampire, so Kaplan, könnten bis zu 200 Jahre alt werden,
müssten sich aber verstecken, da sie gejagt würden, vor allem von
den Anhängern des »Blutkultes«, also jenen Menschen, die Blut
im Rahmen von Ritualen oder sexueller Praktiken konsumieren (s.o.). Die Zahl
derer, die dieses so ernsthaft betreiben, schätzt er alleine in den USA
auf über 10.000 – warum sie allerdings Vampire jagen sollten, lässt
er offen!
Die Zahl der »echten Vampire« gibt Kaplan mit etwa 1000 weltweit
an; diese würden sich vor allem in Metropolen aufhalten, denn, so erläuterte
Joel Martin, der Sprecher des Centers, im August 1997 beim großen Dracula-Festival
in Los Angeles jedem, der es hören wollte, »Vampire lieben
die großen Städte; in Ballungsgebieten können die Untoten kommen
und gehen, wann sie wollen«.
Wissenschaftliche Nachweise oder auch nur plausible Indizien für die
Existenz »echter Vampire« lässt das »Vampire Research
Center« leider vermissen, und sein Fragebogen, mit dem jede/r sich selbst
testen kann, ob er oder sie vielleicht ein Vampir ist, ist so durchsichtig und
billig gemacht, dass jede/r sich »wissenschaftlich« zum Vampir erklären
lassen kann. Mit diesem pseudowissenschaftlichen Test kann man jedes Ergebnis
erhalten, das man sich wünscht – abgefragt wird neben »Sonnenlichtempfindlichkeit«
und Alter der Vorfahren etwa, ob man oft von Moskitos gebissen wird.
Aus der Sicht des Biologen und Evolutionstheoretikers entbehrt Kaplans These
jeder Wahrscheinlichkeit, ist eigentlich sogar unmöglich. Wie evtl.
»echte Vampire« möglich wären, wird in der »Biologie
der Vampire« gezeigt – so, wie Kaplan es sich vorstellt, sicher
nicht. Und der Begriff »Gattung Mensch« ist vollkommen unsinnig
– sind es Menschen, etwa eine eigenständige Rasse, gehören sie
wie wir zur Art »homo sapiens« und der Gattung »homo«
und wären mit uns fortpflanzungsfähig. Als eigene Gattung können
sie keine Menschen sein!
»Echte Vampire« reagieren laut Kaplan übrigens mit Krankheit
auf Knoblauch und Zwiebeln – und sich selbst hält der Doktor der
Soziologie für den »van Helsing des 20. Jahrhunderts«. Sicher
spielen bei dem »weltweit führenden Vampirologen« auch
Geldmacherei und Egomanie eine Rolle, wahrscheinlich aber glaubt er wirklich
an den Unsinn, den er verzapft, und sicher tun dies auch manche jener Menschen,
die er und die sich für »echte Vampire« halten. Solange es
aber keine eindeutigen Beweise für die Existenz solcher Wesen gibt –
und ich halte sie für unmöglich –, betrachte ich ihn und seine Protégées
als geschäftstüchtige Spinner, als Wichtigtuer – oder als bedauernswerte
Kranke.
Gute Überblickswerke zu Serienmördern (zum Teil inkl. Gilles de Rais und Elisabeth Bathory):
Kirchschlager, Michael: Historische Serienmörder. Menschliche Ungeheuer vom späten Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Mark Benecke und Stephan Harbort – Leipzig 2007
Lessing, Theodor: Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs – Arnstadt 2011 – Berlin 1925
Noll, Richard: Vampires, Werevolves and Demons. Twentieth-Century Reports in the Psychiatric Literature – New York 1992
Tuczay, Christa: Die Herzesser. Dämonische Verbrechen in der Donaumonarchie – Wien: Seifert 2007
Interessante Verweise auf »Vampire« und »Kannibalen«:
Benecke, Mark: Mordspuren. Neue spektakuläre Kriminalfälle. Erzählt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt – Bergisch Gladbach 2007
Benecke, Mark; Benecke, Lydia: Aus der Dunkelkammer des Bösen. Neue Berichte vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt – Köln 2013
Benecke, Lydia: Auf dünnem Eis. Die Psychologie des Bösen – Köln 2013
Benecke, Lydia: Sadisten. Tödliche Liebe. Geschichten aus dem wahren Leben – Bergisch Gladbach 2015
Meier, Jan Niklas: Verwandlungen. Der Werwolf in der neueren deutschen Phantastik – Essen: Oldib-Verlag, 2015