Erst der Film hat den Vampir so richtig bekannt und zu einer
modernen Legende gemacht. Horrorfilme gehören seit ihrer Erfindung
zu den beliebtesten Filmen überhaupt. Die Wirkung des Mythos vom »Halbwesen«
(Vampire, Werwölfe, Mumien, Frankenstein’s Monster u. ä.) ist
»nicht
in seiner Gewalttätigkeit allein begründet..., sondern eben in
jener Zwiespältigkeit, die unsere Gefühle in der Schwebe zwischen
Mitleid (gepaart mit Bewunderung) und Ablehnung (gepaart mit Furcht) hält«
(Seeßlen/Weil). Dracula verkörpert diese Ambivalenz in der vielleicht
ausgeprägtesten Form.
Mystizismus und Esoterik boomen immer um die Jahrhundertwenden;
dies lässt sich in der Literatur der letzten Jahrhunderte nachweisen.
Der Erfolg des Romans »Dracula« paßt da ebenso ins Bild
wie die seit einigen Jahren wieder aufkommende Begeisterung für fantastische
Filme.
Karsten Prüsmann weist bei Vampirfilmen hin auf Wellen
oder Zyklen im Zwanzigjahres-Abstand (30er, 50er, 70er und 90er Jahre)
und vermutet, dass die Unterdrückung der Sexualität, verbunden
mit AIDS, damit zu tun haben könnte. Zudem boomen Horrorfilme stets
dann, wenn die gesellschaftliche Realität besonders viel zu wünschen
übrig lässt:
»Der Horrorfilm brilliert darin, psychologische
und gesellschaftliche Mechanismen fast bis zum Punkt ihrer Aufklärung
voranzutreiben, um dann mit einer überraschenden Volte alle Einsicht
im Dunkel des Mystifikation wieder versinken zu lassen [...] Der Trick
des Horrorfilms, die Welt in Schwarz und Weiß, Gut und Böse
abzuzirkeln, ist aber das Verfahren der bürgerlichen Rationalität
selbst: der Herrschaft. Auf ihrer Seite ist der Horror stets zu finden.«
(Geyrhofer: Horror und Herrschaft)
Es gibt Vampirfilme in kaum überschaubarer Vielfalt
- mindestens 400. Der erste Vampirfilm ist allerdings älter als »Dracula«;
schon 1896(!) hatte Georges Méliès unter dem Titel «Le
manoir du diable» eine Vampirerzählung verfilmt. Zahlreiche
Vampirfilme mit CREDITS und Bewertung finden sich in der Filmabteilung
des VAMPYR-JOURNALS.
Den Erfolg der Vampir- und speziell der Draculafilme in den
USA erklären Seeßlen/Weil übrigens mit der Angst der Amerikaner
vor der Verführung ihrer Frauen durch europäische »Lebemänner«
und dem Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem kulturell »überlegenen«
Europa:
»Dracula ist die greuliche Karikatur des europäischen
Liebhabers, den der amerikanische Pionier zu überwinden trachtete.
Deutlich bezieht sich die Ausstrahlung des Verführers auf den gefürchteten
Gegensatz von Arbeit und Eros; wer die Arbeit nicht kennt wie Graf Dracula,
der über Jahrhunderte hinweg ohne Arbeit lebt, der muss zwangsläufig
zu einem Monster werden, das alle Energie in erotische Offensive investiert.«
Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zu Karl
Marx:
»Das Kapital ist verstorbene Arbeit, die sich nur
vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um
so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.«
Die erste »Dracula«-Verfilmung ist der Stummfilm
»Nosferatu
- Eine Symphonie des Grauens« von Friedrich-Wilhelm Murnau mit
Max Schreck in der Titelrolle (1922), in dem aus Urheberrechtsgründen
die Namen aus dem Roman nicht verwendet werden konnten. 1925 mussten
alle Kopien vernichtet werden, das Negativ war aber bereits ans Ausland
verkauft. Seither sind unterschiedliche Kopien mit verschiedenen Musiken
im Umlauf.
Meine Lieblings-Vampir-Filme sind:
»Vampyr – Der Traum des
Allan Grey«, Deutschland/Frankreich 1931, Regie Carl Theodor
Dreyer – die erste und beste Carmilla-Verfilmung,
»ein Film über das Unsichere, das Unbewußte, das Unheimliche«
(Hans Schifferle), in dem sich »etwas zu Realität verdichtet,
was allgemein sich der Darstellung entzieht« (Frieda Grafe);
»Dracula«, 1931,
Regie Tod Browning, mit Bela Lugosi (geb. 1882, der erste »klassische«
Dracula, ein Ungar, der stets betonte, dass er aus einem vampirreichen
Land komme, und der, 1956 nach langer Drogenabhängigkeit gestorben,
im schwarzen Dracula-Cape begraben wurde);
»Dracula«, 1958,
Regie Terence Fisher, mit Christopher Lee (geb. 1922, »legitimer
Nachfolger« Lugosis, der ihm seinen »magischen« Ring
vermacht hatte, Mitglied einer italienischen Adelsfamilie, der seinen Stammbaum
auf Karl den Großen zurückführt und sich von seinen 6 Dracula-Filmen
heute ironisch distanziert);
»Tanz der Vampire«,
1966, von und mit Roman Polanski – eine hervorragende Parodie, in der fast
alles ins Gegenteil verkehrt wird, und der es ja jetzt ein phantastisches
Musical
gibt;
»Dracula«, 1978,
Regie John Badham, mit Frank Langella, Laurence Olivier, Donald Pleasance
und Kate Nelligan, mit einer absolut phantastischen Musik
von John Williams – der beste und in sich schlüssigste Dracula-Film;
»Liebe auf den ersten Biss«,
1978, Regie Stan Dragoti, Komödie mit George Hamilton, die es durchaus
mit Polanskis Film aufnehmen kann;
»Salem II – Die Rückkehr«
(auch »Stadt der Vampire«, 1987), Grusel-Komödie von Larry
Cohen, bei der Horror, Witz, Philosophie und moralische Diskussionen Hand
in Hand gehen: »Die Kühe haben ihren Blutverlust in einer Woche
überwunden. Ist das nicht besser, als sie abzuschlachten?« fragt
da eine der Damen der »ältesten Rasse der Welt«.
Der »Dracula«
von Francis Ford Coppola (1993) gefällt mir nicht besonders. Er ist
technisch hervorragend gemacht und schwelgt in einem wahren Bilderrausch,
die schauspielerischen Leistungen können sich sehen lassen, die Musik
ist nicht schlecht, und es gibt faszinierende Szenen mit oft originellen
Ideen (der alte Dracula in seinem Schloß und dessen Schatten etwa).
Doch ist mir der Film in vielen Punkten zu unlogisch und hält sich
zuwenig an seine eigenen Voraussetzungen – Fantasy darf alles, doch wenn
sie gut sein will, muss sie sich an die selbstgeschaffenen Bedingungen
halten und in sich stringend und schlüssig sein! Frederik Pohl, der
der SF als Herausgeber und Schriftsteller entscheidende Impulse gab und
in den 70er Jahren der meistausgezeichnete SF-Roman-Autor war, meinte einmal
dazu, ein SF-Autor dürfe lügen, dass sich die Balken biegen,
aber eines würde man ihm nie verzeihen: wenn er auf der »erlogenen«
Prämisse nicht logisch aufbaue.
Als unabdingbare Forderung für phantastische Kunst hat
dies bereits Baudelaire aufgestellt, und natürlich gilt es auch für
die Fantasy:
»...kaum zu entschuldigen ist... die Unfähigkeit,
stimmig zu schreiben. [...]...haben allzu viele Autoren entschieden, dass
einfach alles möglich sei und dass alltägliche Dinge unwichtig
seien, so dass die Verfasser sich die lästigen Hausaufgaben sparen
können, ehe sie ihr Garn spinnen. Weit gefehlt! Das Ergebnis dieser
Haltung ist unweigerlich ein schwaches Produkt! [...] Abgesehen von Magie,
Heldentaten und anderen Glanzlichtern, muss eine erfundene Welt richtig
funktionieren.« (Poul Anderson: Pfusch und Schlamperei in der
Fantasy)
Bei der angeblichen Geschichte von Vlad
Țepeș z. B. stimmt fast nichts: Țepeș ist nicht als Orthodoxer gestorben,
er hat sich während seiner Gefangenschaft in Budapest zum Katholizismus
bekehrt, um eine Verwandte des ungarischen Königs heiraten zu können.
(Und er hat dort Mäuse und Vögel gepfählt; Menschen hatte
er nicht zur Verfügung...) Vampir ist er bestimmt nicht geworden,
obwohl man ihn »Blutsauger« nannte. Man hat ihm nämlich
den Kopf abgeschlagen und den in Honig konserviert dem Sultan gebracht
(kandiert sah er bestimmt gut aus; er war ja sowieso keine Schönheit).
Und niemand konnte sich je ernsthaft vorstellen, dass ein Vampir ohne
Kopf und Zähne besonders gut funktioniert...
Es gibt noch zahlreiche weitere Ungereimtheiten in Coppolas
Film. So ist das Gottesbild höchst widersprüchlich (am Anfang
der rächend-blutige Gott, am Schluß der Gott der Vergebung).
Und das Ende des Films ist nicht nur unerträglich kitschig und schwülstig,
sondern auch unlogisch und überhaupt nicht schlüssig. Die Figuren
sind in ihrer Anlage oft anachronistisch, die Liebesgeschichte ist komplett
erfunden (das betont Coppola ausdrücklich!), und wie der Vampir bei
Tag rumläuft, ist »Anti-Stoker« pur. Der Vampir ist weder
in der Legende noch in der Literatur immer ein Nachtwesen, dem das Tageslicht
schadet. Vampire sind oft weit mächtiger und weniger an Vorschriften
gebunden als bei Bram Stoker, und in vielen Filmen gibt es da eigene Regeln.
Was mich an Coppolas Film so ärgert, ist nicht, dass sein Vampir
das Tageslicht erträgt, sondern, dass dies Stokers' Dracula sein
soll!
Dennoch ist Coppolas Film einer der besseren Dracula-Filme
- auf jeden Fall weitaus besser als der neue Streifen »Interview
mit einem Vampir«, der die erheblichen Schwächen der Bücher
von Anne Rice um den Vampir Lestat noch potenziert. Dennoch haben es der
Film und die Bücher von Rice zu einem gewissen Kultstatus gebracht
und leider das Bild des Vampirismus in manchen Kreisen allzusehr geprägt.
Neben Dracula wurde Carmilla
von Sheridan LeFanu zur berühmtesten Vampirgestalt
in Literatur und Film. Die Geschichte um die lesbische Vampirin wurde mindestens
fünfmal verfilmt: »Vampyr – Der
Traum des Allan Grey« (1931), »...und vor Lust zu sterben«
(1960), »Gruft der Vampire« (1970), »Carmilla«
(Schweden/Japan 1968) und im Fernsehfilm »Carmilla« (USA 1990).
Viele Filme greifen auf Motive der Geschichte zurück.